Frankfurt/Main - Dieser Satz saß: “Eine Zinserhöhung bei unserer nächsten Sitzung ist möglich“, sagte Europas oberster Währungshüter Jean-Claude Trichet am Donnerstag - und überraschte damit reihenweise Volkswirte. Die hatten bislang trotz des massiven Preisdrucks durch immer teurere Energie und Rekordpreise bei den Nahrungsmitteln erst in einigen Monaten mit einem Zinsschritt gerechnet - schon um die schwächelnden Euroländer von Griechenland über Spanien und Portugal bis Irland nicht weiter zu belasten.
Aber Trichet bleibt seiner Linie treu: Der Franzose nimmt auch in den letzten Monaten seiner Amtszeit seine Aufgabe ernst, Währungshüter für alle Europäer zu sein: “Es ist unsere oberste Aufgabe, Preisstabilität für 331 Millionen Menschen sicherzustellen. Das ist das Ausmaß des Euroraums. Und ich muss unterstreichen: Preisstabilität ist besonders wichtig für die Ärmsten und den verwundbarsten Teil der Bevölkerung.“
Auch wenn die Ankündigung in ihrer Deutlichkeit überraschend kam: Trichet ermahnt die Länder der Eurozone seit Monaten regelmäßig, die Hausaufgaben zu machen und die Schulden abzubauen. Denn solide Haushalte sind Aufgabe der Politiker, eine stabile Währung ist Aufgabe der Notenbanker - so sieht es der EZB-Chef nicht erst seit diesem Donnerstag.
Schon im Januar hatte er deutlich gemacht, dass sich kein Land auf die Unterstützung der EZB verlassen dürfe. Bei drohender Inflation werde die Notenbank den Leitzins erhöhen - auch wenn dies einige Regierungen an den Abgrund bringen könnte, weil der Schuldendienst dann noch teurer wird und das Wachstum leidet. Am Donnerstag rief er den Regierungen klipp und klar zu: “Macht euren Job - wenn ich das so sagen darf - so gut, wie möglich.“
Seit Jahresbeginn sind die Ölpreise rasant um ein Fünftel gestiegen, die Unruhen in Libyen versetzen die Ölmärkte in Sorge. An den Zapfsäulen treibt es manch einem Autofahrer die Tränen in die Augen. Keine Frage: Die Preise ziehen an, und die Konjunktur hat sich vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Ländern kräftig erholt. Das ist der Boden, auf dem die Notenbanken üblicherweise die Zinsen anheben. Bislang hielt sich die EZB zurück, doch jetzt beurteilen die Währungshüter die allgemeine Konjunktur im Euroraum trotz einiger Unsicherheiten insgesamt wieder positiv - das ebnet den Weg für Zinserhöhungen.
Für EZB-Beobachter lassen Trichets Worte nur einen Schluss zu: Die Leitzinsen im Euroraum, die im Mai 2009 im Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise auf das Rekordtief von 1,0 Prozent gesenkt wurden, werden wieder steigen - und zwar sehr bald. “Die Staatsschuldenkrise müsste schon eskalieren, damit die EZB ihren Leitzinsen nicht bereits im April um 25 Basispunkte anhebt“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die Royal Bank of Scotland zeigte sich dennoch "geschockt". Wegen er angespannten Haushaltslage in mehreren Eurostaaten seien die Risiken einer schnellen Zinserhöhung hoch einzuschätzen.
Den Zeitpunkt hat Trichet auch aus einem anderen Grund bewusst gewählt: “Die faktische Ankündigung einer Zinserhöhung ist ein starkes Signal an die europäische Politik vor dem Hintergrund des bald stattfindenden Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs: Die EZB ist eine unabhängige Institution und will sich jetzt von politischen Einflüssen frei schwimmen“, sagte der Deutschland-Chefvolkswirt von UniCredit, Andreas Rees: “Die Währungshüter wollen weg von Staatsanleihekäufen und zurück zu ihren Wurzeln. “
Trichet machte aber auch deutlich, dass von höheren Rohstoffpreisen allein noch keine große Gefahr für die Preisstabilität im Euroraum ausgeht. Heikel wird es erst bei einer Lohn-Preis-Spirale. Trichet mahnte nachdrücklich zur Lohnzurückhaltung, denn die EZB will Zweitrundeneffekte bei der Inflation vermeiden, wie Ress betont.
Denn in Deutschland stehen Lohnverhandlungen mit Forderungen von bis zu 7 Prozent im Raum. Zudem sollen gerade deutsche Unternehmen angesichts der sehr guten Konjunkturlage versuchen, die höheren Rohstoffkosten auf die Verbraucher abzuwälzen. (dpa/foto: dpa)
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